Rafael de Huelva ist nicht nur ein begnadeter Flamenco-Sänger, sondern auch ein Original: humorvoll, liebenswert, nachdenklich, tief menschlich und loyal. Kürzlich feierte er seinen 80. Geburtstag gemeinsam mit dem Flamenco-Gitarristen Alfredo auf der Bühne. Olé! Oder, wie ihr gemeinsamer Freund, der Berner Aficionado und Gitarrist Jürg Gerster, schreibt:
Sonia Bauer
Die Geschichte seines Lebens beginnt im Spanien des Jahres 1935 in der Stadt Huelva, in Andalusien nahe bei der portugiesischen Grenze gelegen. Atlantik, Weite, Wind, Wellen, unter der Wasseroberfläche Fische und vielfältiges Meergetier, die für die Bewohner der Stadt und Provinz Grundnahrung und Delikatesse in einem sind.
Die Region gehört zum erweiterten Kerngebiet des Flamenco, jener besonderen archaischen und zeitweise anarchistischen Kunst, die es sogar geschafft hat, in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Man sagt, dass in jedem Dorf der Provinz Huelva eine wohl unterscheidbare Form des Fandangos gesungen werde – also Hunderte.
Cante Flamenco – noch heute nur in Ausnahmefällen akademisch erlernbar (es gibt unter anderem ein paar Japaner, welche dies tun) – also im Normalfall mit der Muttermilch aufgesogen und im besonderen Ambiente Andalusiens und der Andalusier verinnerlicht, weitergegeben und geübt.
Ob es Liebe oder Notwendigkeit zum Überleben ist oder beides zusammen spielt eine untergeordnete Rolle. Rafael beginnt in jungen Jahren zu singen, seine Fandangos werden bewundert, man applaudiert ihm. Er schafft es nach Madrid und später nach Barcelona in die berühmten Tablaos, macht sich einen Namen. Er trifft dort die Crème de la Crème der Flamenco-Welt – Camarón de la Isla und Paco de Lucía und viele andere, die später den Flamenco in die weite Welt tragen sollten.
Das typische Leben eines Flamenco-Künstlers geht, wie dasjenige eines Jazz- oder Rockmusikers, schnell einmal an die Substanz. Auftritte zu später Stunde, Umherziehen von Hotel zu Hotel, kaum jemals wirklich ‚zu Hause’ sein, Alkohol, Zigaretten, Porros und wer weiss was noch alles fordern ihren Tribut.
Rafael hat ein Engagement an der Costa Dorada – es sind die ersten Jahre des boomenden Tourismus an Spaniens Küsten. Dort trifft er Yvonne, eine Reiseleiterin aus der Schweiz. Das Künstlerleben hat ihn müde gemacht, er ‚verlässt‘ die Flamenco-Welt, folgt Yvonne nach Bern, heiratet.
In den ersten Jahren nimmt er gelegentlich noch Saison-Engagements an, kehrt wochen- oder monatsweise nach Spanien zurück, um zu singen. Doch zum Glück tun sich bald auch in Bern, in der Schweiz für ihn einige Türen auf, die es ihm möglich machen, seiner Liebe, dem Singen, zu frönen: Es gibt eine zunehmende Zahl von Gitarristen und Tänzerinnen hierzulande, die ihr Herz an die faszinierende und geheimnisvolle Kunstform des Flamenco verloren haben und versuchen, sie zu beherrschen und zu betreiben.
Und weil, wie bereits erwähnt, Flamenco-Gesang kaum aus Schulbüchern lernbar ist und Rafael lange Zeit der einzige in der Schweiz lebende authentische Flamenco-Sänger ist, ergeben sich für ihn viele Möglichkeiten, mit den hiesigen Flamencos zusammen zu arbeiten. Diese Arbeit ist fruchtbar, er prägt die hiesige Szene entscheidend, er ist ein Glücksfall für sie. Die Schweizer und besonders die Berner Flamenco-Welt verdanken Rafael viel.
Der Zürcher Journalistin Christine Frey erzählte er vor Jahren, in der Schweiz sei der Flamenco wie ein Essen, dem das Salz fehle. ‚Das bisschen Salz, das er braucht, gebe ich hinein‘.
Im Dezember des vergangenen Jahres hat Rafael de Huelva seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass organisieren seine Freunde am 19. November um 20 Uhr einen Flamenco-Abend mit Darbietungen im Jardin, Militärstrasse 38 3014 Bern. Reservationen unter www.loscaracoles.ch
Jürg Gerster